Probiotika bei Reizdarm – Hype oder Hilfe?

Interview mit PD Dr. med. Miriam Goebel-Stengel, Vorsitzende MAGDA (Informationsforum für Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen), Leitende Oberärztin Klinik für Gastroenterologie und Ärztliche Direktorin Helios Klinik Rottweil

Können fremde Bakterien wirklich den gereizten Darm beruhigen? Nicht nur in Apotheken, auch in Drogerien und Supermärkten werden zahlreiche Probiotika unterschiedlichster Zusammensetzung und Zulassung angeboten, die häufig eine „gute Wirkung bei Reizdarm“ versprechen. Helfen Sie wirklich? Welche Präparate sind zu empfehlen, welche nicht? Worauf sollten Reizdarmpatienten achten?

Zu diesem Themenkomplex sprachen wir mit der Fachärztin PD Dr. med. Miriam Goebel-Stengel, Vorsitzende MAGDA (Informationsforum für Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen), Leitende Oberärztin Klinik für Gastroenterologie und Ärztliche Direktorin Helios Klinik Rottweil.

Frau Dr. Goebel-Stengel, bei welchen Magen-Darm-Erkrankungen werden Probiotika eingesetzt, wo ist die Wirksamkeit bewiesen?

Eine bewiesene Wirksamkeit, die sich bei allen von Magen-Darm-Erkrankungen Betroffenen reproduzieren lässt, gibt es nicht. Zum Einsatz kommen sie beispielsweise bei der Behandlung von Nebenwirkungen wie Durchfall und Bauchschmerzen durch Antibiotikaeinnahme oder bei Patienten mit Verstopfung oder Durchfall unklarer Ursache oder beim Reizdarmsyndrom zur Bekämpfung von Symptomen wie Stuhlunregelmäßigkeiten, Bauchschmerzen oder Blähungen.

Wie sieht die Datenlage zur Wirksamkeit von Probiotika bei Reizdarm aus?

Die Reizdarmleitlinie empfiehlt, dass ausgewählte Probiotika in der Behandlung des RDS eingesetzt werden sollen und die Wahl des Stammes nach der Symptomatik erfolgen soll. Die aktuelle Literatur zeigt, dass nicht generell gesagt werden kann, dass Probiotika zur Therapie des RDS wirksam oder nicht wirksam sind, sondern dass differenziert werden muss, welche probiotischen Spezies bzw. welcher Stamm bei welcher Patientengruppe nachweislich wirksam oder unwirksam ist. Insgesamt gibt es einige, auch überzeugende hochwertige Studien, die positive Effekte von Probiotika bei Reizdarmpatienten zeigen, aber auch viele negative.

Bei welchen Symptomen empfehlen Sie Reizdarmpatienten Probiotika?

Bifidobakterien und Laktobazillen scheinen Patienten mit Schmerzen und Blähungen eher zu helfen. Eine generelle Empfehlung bei welcher Symptomatik Probiotika sinnvoll sind, kann man nicht abgeben. Jeder Betroffene kann jedoch Probiotika für einige Wochen ausprobieren und individuell feststellen, ob er/sie davon profitiert oder nicht.

Viele Ärzte empfehlen, pflanzliche Arzneimittel mit Probiotika zu kombinieren, weil sie zusammen besser wirken – wie sehen Sie das?

Prinzipiell ist alles erlaubt, was hilft. Über die Wirksamkeit der Symptomlinderung bei Reizdarmpatienten bei der Kombination pflanzlicher Arzneimittel mit Probiotika gibt es bisher keine Studien, ein synergistischer Effekt ist jedoch vorstellbar und es gibt einige Ärzte, die die Kombination verordnen, da sie damit gute Erfahrungen bei Patienten gemacht haben.

Welche Probiotika-Präparate sollte ein Patient kaufen? Wie erkennt man gute Produkte?

Grundsätzlich ist eine Vielzahl verschiedener Probiotika im Handel verfügbar. Es ist nicht sinnvoll, von guten oder schlechten Produkten zu sprechen, da jeder Patient individuell darauf anspricht oder eben nicht. Daher können einige Probiotika für manche Menschen gut sein und für andere weniger gut oder sogar schlecht verträglich. Daher muss es jeder individuell ausprobieren. 


Lesen Sie dazu auch die aktuelle Cochrane-Analyse zur Wirksamkeit von Probiotika bei Reizdarm (Stand 14. Juli 2020)