Reizdarmsyndorm - welche neuen Mittel wirken?

Interview mit Prof. Dr. André-Michael Beer, Direktor der Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Hattingen.

Reizdarm gilt inzwischen als Volkskrankheit – Deutschlands zweitgrößte gesetzliche Krankenversicherung geht davon aus, dass 17% der Deutschen an dieser chronischen Darmerkrankung leiden. Eine Standardtherapie für alle gibt es nicht, sodass jeder Patient individuell behandelt werden muss, meist zur Linderung der Symptome. Nur wie und womit?

Hier wächst die Unsicherheit, denn aktuell tummeln sich immer mehr diverse neue Produkte auf dem Markt, die keine Arzneimittel sind, sondern sogenannte Nahrungsergänzungsmittel. Was das bedeutet und worauf Patienten aktuell besonders achten müssen, dazu haben wir Prof. Dr. André-Michael Beer, Direktor der Klinik für Naturheilkunde, Klinik Blankenstein, Hattingen, befragt.

Herr Prof. Beer, was ist der für Patienten relevante Unterschied zwischen einem Arzneimittel und einem Nahrungsergänzungsmittel (NEM)?

Der Hauptunterschied liegt sowohl in der Qualität als auch Wirksamkeit. Hier liegen Arzneimittel mit weitem Abstand vorne: Ihre Qualität und Sicherheit ist gewährleistet und staatlich geprüft, ihre Wirksamkeit muss wissenschaftlich und klinisch belegt sein. Und sie haben eine behördliche Zulassung zur Behandlung konkreter Beschwerden oder Krankheiten. Sie sind also für kranke Menschen, für Patienten gemacht.

Hingegen sind Nahrungsergänzungsmittel rechtlich betrachtet nur Lebensmittel, die weder eine Zulassung haben noch eine medizinische Wirkung ausüben dürfen. Sie dürfen und können also weder Krankheiten heilen noch vorbeugen. Sie werden für Gesunde hergestellt, um einen möglichen Mangel an Nährstoffen auszugleichen. Zu Behandlung von Reizdarmbeschwerden sind sie - allein schon rein rechtlich – grundsätzlich weder gedacht noch geeignet.

Wie bewerten Sie die derzeitige Fülle an neuen Produkten, die bei Reizdarm helfen sollen?

Eine breite Palette an Therapien zur Verfügung zu haben, das ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Gerade beim Reizdarmsyndrom, wo eine Standardtherapie fehlt und wir jeden Patienten individuell symptomorientiert behandeln, ist eine große Auswahl verschiedener Mittel wertvoll – auch deshalb, weil nicht alle Menschen auf alle Präparate gleich gut ansprechen. Die Kehrseite dieser Medaille ist aktuell leider, dass fast nur Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt gebracht werden, die alle eine Linderung der Reizdarmbeschwerden versprechen, aber diese Wirkung niemals durch aussagefähige Studien belegt haben.

Eine Ausnahme bildet hier die Erfahrungsmedizin: Also, wenn viele Ärzte jahrzehntelang gleichermaßen gute therapeutische Erfahrungen mit einem NEM als begleitende Therapie gemacht haben, dann finden diese Mittel gelegentlich auch Eingang in die Behandlung. Das ist aber naturgemäß bei allen neuen NEM nicht der Fall.

Wie kann ein Reizdarmpatient erkennen, was hilft und was nicht? Also welche Mittel kann/soll er kaufen, weil sie wirken?

Zu allererst sollte man Arzneimitteln immer den Vorzug vor NEM geben, denn hier ist die Qualität, Unbedenklichkeit und vor allem die Wirksamkeit wissenschaftlich und klinisch belegt und vom Staat geprüft. Entweder hat ein Präparat eine Zulassung bei Reizdarm oder man kauft die Medikamente mit einer Zulassung gegen die konkreten Beschwerden - also beispielweise Arzneimittel, bei denen drinsteht, dass sie gegen Durchfall, Blähungen, Verstopfung und/oder Krämpfe wirken. Diese Arzneimittel sind in der Regel nur in Apotheken erhältlich – und dort gibt es noch kompetente pharmazeutische Beratung dazu. Beides fehlt im Discounter und Supermarkt.