Stuhltransfer bei Reizdarm und CED ist aktuell keine Therapieoption
Interview mit Prof. Dr. med. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV (Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie), Universitätsklinikum Jena

Stuhltransfer in aller Munde – was hat es mit der „Spezialtherapie“ bei CED (Colitis ulcerosa & Morbus Crohn) und Reizdarm auf sich?
Seit einigen Jahren erscheinen immer wieder Medienberichte über „Stuhltransplantation“, „Stuhltransfer“ und „Bakterienübertragung im Darm“ als neue erfolgversprechende Therapie bei chronischen Darmerkrankungen wie Reizdarm, Colitis ulcerosa und Morbus Crohn. Doch wo steht die Forschung tatsächlich und was ist gesichert? Darüber haben wir mit Prof. Dr. med. Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV (Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie), Universitätsklinikum Jena, gesprochen.
Herr Prof. Stallmach, Was genau verbirgt sich hinter den Begriffen Stuhltransplantation und Stuhltransfer? Was wird da gemacht?
Die Begriffe Stuhltransplantation, Stuhltransfer bezeichnen im Grunde das gleiche Vorgehen. Bei diesen Maßnahmen wird der Stuhl von gesunden Menschen verflüssigt und dann beispielsweise über ein Endoskop, durch einen Einlauf oder in verkapselter Form in den Patienten „eingebracht“, um so die Darmmikroorganismen zu übertragen. Momentan diskutieren die Wissenschaftler noch darüber, ob es sich tatsächlich um eine Transplantation oder einen Transfer handelt. Der Begriff „Transfer“ beschreibt den Prozess tatsächlich besser, international hat sich derzeit leider der Begriff Transplantation durchgesetzt.
Wie wählt man die gesunden Personen aus, also wer „qualifiziert“ sich als Stuhlspender?
Hier gelten in Deutschland sehr strenge Auswahlkriterien. Die Untersuchungen bei Stuhlspendern sind viel aufwändiger als bei Blutspendern. Die potenziellen Stuhlspender werden dabei auf zahlreiche Parameter untersucht – dazu gehören unter anderem: Der Spender darf keine Erkrankungen haben, er muss normalgewichtig sein und er darf sich die letzten 6 Monate nicht in exotischen Ländern aufgehalten haben. Des Weiteren darf er nicht im Krankenhaus mit Patientenkontakt oder in der Landwirtschaft mit Tierkontakt arbeiten. Zusätzlich gibt es eine lange Liste an Stuhl- und Blutuntersuchungen, die abgearbeitet werden müssen, um Krankheiten auszuschließen (z.B. Hepatitis, Tuberkulose). Und ganz wichtig, die potenziellen Spender werden auf antibiotikaresistente Bakterien überprüft – liegt eine solche Besiedlung vor, kommen sie nicht als Spender in Frage.
Der Todesfall in den USA im Sommer 2019, über den zahlreiche internationale Medien berichteten, ist genau darauf zurückzuführen - denn der Spender wurde nicht auf antibiotikaresistente Bakterien untersucht, aber er war Träger ebendieser – und diese Bakterien wurden dann mit übertragen, woran der immungeschwächte Empfänger verstarb. Kurzum: Ein sorgfältiges Spenderscreening ist wichtig, um Patientensicherheit zu gewährleisten. Von 100 potenziellen Spendern kommen daher in Deutschland nur maximal 5 bis 10 in Frage.
Auf die Zusammensetzung des Mikrobioms* werden die Spender nicht untersucht?
„Jein“. Es werden jedoch verschiedene Stuhlspenden kombiniert, in der Regel vier oder fünf, um so ein möglichstes breites Spektrum an Mikroorganismen gesunder Spender zu übertragen. Wir analysieren dann dieses „Bakteriengemisch“, bevor es übertragen wird, um zu schauen, was beim Spender ankommt und welche Spezies sich dort idealerweise auch ansiedeln. Der Spender wird aber noch nicht anhand seines Mikrobioms ausgesucht.
Welche Therapieerfolge konnten bis dato damit bei RDS (Reizdarmsyndrom) und CED (Colitis ulcerosa & Morbus Crohn) erzielt werden?
Beim Reizdarmsyndrom gibt es derzeit noch widersprüchliche Studienergebnisse, ob und welche Patienten von einem Stuhltransfer profitieren. Bei Colitis ulcerosa gibt es Studien, die zeigen, dass bei 20-30 % der Patienten eine Besserung der Symptome erreicht werden kann, bis hin zum Verschwinden der Beschwerden – was aber nicht gleichzusetzen ist mit einer Heilung, denn irgendwann kommt der neue Schub. Bei Morbus Crohn gibt es bislang keine Studie, die zeigt, dass Patienten davon profitieren. Warum es bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn so unterschiedliche Ergebnisse gibt, das wird derzeit erforscht. Auch liegen momentan noch keine Langzeitdaten, also für einen Zeitraum von 5 bis 10 Jahren, vor. Die fäkale Bakterienübertragung ist bei Reizdarm und CED also aktuell noch keine Therapieoption und muss zunächst in weiteren Studien untersucht werden.
Für wen würde sich diese Spezialtherapie anbieten? Also für alle RDS- / CED-Patienten gleichermaßen oder nur für spezielle Subgruppen?
Bei Patienten mit Colitis ulcerosa sehen wir in Studien, dass diejenigen, die eine weniger starke Krankheitsaktivität aufweisen und bei denen die Krankheit noch nicht so lange besteht, am meisten vom Stuhltransfer profitieren. Je früher man den Transfer durchführt und je geringer die Krankheitsaktivität bei Colitis ulcerosa, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolgs. Beim Reizdarm konzentrieren sich die Forscher derzeit auf Patienten mit Durchfall-dominantem Reizdarm, weil diese möglicherweise am besten davon profitieren könnten – aber hier ist die Datenlage noch sehr uneinheitlich. Grundsätzlich weiß man heutzutage noch nicht genau, warum manche Patienten auf den fäkalen Mikrobiomtransfer ansprechen und andere nicht. Auch das ist Gegenstand der Forschung.
Was schätzen Sie, ab wann wird die „Bakterienmedizin“ in welcher Zulassung offiziell erhältlich sein? Ist eine Zulassung als standardisiertes Arzneimittel wahrscheinlich?
Es gibt ja schon heute Arzneimittel mit Bakterien zum Remissionserhalt bei Colitis ulcerosa. Wir sind also schon im Zeitalter der Therapie, wo wir Bakterien zum Vorbeugen von Schüben einsetzen können. Mit neuen Stuhltransferpräparaten („Superprobiotika“), die aus der aktuellen Stuhltransferforschung resultieren, ist in etwa drei bis fünf Jahren zu rechnen. Derzeit muss man klar sagen: Bei aller öffentlichen Begeisterung für das Mikrobiom darf man nicht glauben, dass ein Stuhltransfer künftig das „Allheilmittel“ sein wird. Wir haben oft nur statistische Zusammenhänge, die Veränderungen im Mikrobiom und bei den Symptomen beschreiben, aber wir wissen dann nicht, ob der Stuhltransfer tatsächlich auch für die beobachte positive Wirkung ursächlich verantwortlich ist. Diese Fragen wird die künftige Forschung hoffentlich auch klären.
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*Mikrobiom: Die Milliarden von Mikroorganismen, die die Menschen vor allem im Darm, besiedeln, sind von zentraler Bedeutung für uns. Diese Lebensgemeinschaft nennen Wissenschaftler das „Mikrobiom“. (Quelle: Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung) Januar 2020